LVZ-Artikel zur Sonderschau

Ines Alekowa
Redakteurin

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Aus Anlass des Antikriegstages, der an den Beginn des II. Weltkrieges mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 erinnert, laden der Heimatverein Borsdorf und die Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde Parthenaue-Borsdorf für den 1. September zu einer gemeinsamen Veranstaltung in die Kirche ein. Diese beginnt um 17 Uhr mit einer Friedensandacht. Danach ist bis 19 Uhr die Sonderausstellung „75 Jahre Kriegsende in Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth“ zu sehen. In dieser widmet sich der Heimatverein dem Einmarsch der amerikanischen Truppen am 17. April und der anschließenden russischen Besatzung, den Todesmärschen und Flüchtlingsströmen und dem Neubeginn in Borsdorf und Umgebung.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Verein die 15 Schautafeln mit den Beschreibungen der historischen Ereignisse, Originaldokumenten und Fotos von der Wand im Museum nimmt, Exponate einpackt und damit auf Wanderschaft geht. Schon die Vernissage, die Corona-bedingt vom April in den Juni verschoben werden musste, fand nicht in den engen Räumlichkeiten des ehemaligen Hirtenhauses, Leipziger Straße 5, statt, sondern mit geladenen Gästen im Atrium der Grundschule in Panitzsch. Inzwischen kann die Sonderschau jeden Freitag nach telefonischer Anmeldung im Museum besichtigt werden. „Aber die einmalige Veranstaltung in der Kirche bietet die Möglichkeit, die Ausstellung endlich einem größeren Publikum zu präsentieren“, freut sich Museumsleiter Lorenz Uhlmann auf diese Gelegenheit.

Schließlich stecken in der Schau nicht nur viele Monate Heimarbeit der acht Autoren Olaf Beyer, Elvira Carl, Christine Damm, Detlef Kupfer, Michael Peukert, Matthias Schütze, Eckhard Uhlig und Lorenz Uhlmann, sondern vor allem manch neue Erkenntnis über das Kriegsende in Borsdorf. „Anhand der amerikanischen Presse, des Reading Eagle/Berks County’s Home Newspaper vom 17. April, ist bewiesen, dass mit der Einnahme von Borsdorf der Ring um Leipzig geschlossen wurde“, sagt Uhlmann. Besonders stolz ist der Verein, einen 18 Sekunden langen, von einem amerikanischen Kamerateam gedrehten Film vom Einmarsch der 69. US-Infanterie-Division zeigen zu können.

Eine entscheidende Rolle habe damals der Volkssturm-Zugführer Erich Matthes gespielt. „Er hat den Volkssturm nach Hause geschickt und so verhindert, dass Borsdorf beschossen wird. Alle Ortsteile kapitulierten kampflos.“ Trotzdem sei er von den Russen ohne Urteil in Mühlberg inhaftiert und erst 1947 schwerkrank entlassen worden. Sein Kompaniechef Walter Lübcke überstand das Lager nicht. „Ich habe die Todeslisten gesehen“, sagt Uhlmann. 

Es sind die unterschiedlichsten Schicksale, die die Ausstellung vor den Besuchern ausbreitet. Da wird vom Schuldirektor Walther Kisow erzählt, der aus Furcht vor Strafe seine Frau, seine drei Töchter und sich selbst erschossen hat. „Er war ein glühender Nazi und Propagandachef der NSDAP-Gruppe Borsdorf“, erklärt Uhlmann. Oder von Friedrich Bertram, einem Arzt, frisch von der Uni, der nach Naunhof wollte, um Medikamente zu holen, und von den Amerikanern, die versprengte Nazitruppen erwarteten, trotz seiner Rot-Kreuz-Kennung erschossen wurde. „Eigentlich ein Kriegsverbrechen“, sagt Uhlmann.

Besonders beeindruckend: eine aus einem alten Boiler gebastelte Litfaßsäule mit teils sehr berührenden Erinnerungen von Zeitzeugen aus ihren Kindheitstagen. „Das Schlimmste waren die kalten und dunklen Nächte in den Kellern, das Heulen der Sirenen bei Fliegeralarm, die Bombardierungen und die bange Frage ums Überleben“, schildert beispielsweise der damals 15-jährige Borsdorfer Hans Große. „Und bei der Vorstellung, eine Bombe fällt auf unser Haus, hatten wir richtig Schiss.“ Borsdorf, kann Uhlmann anhand von Luftaufnahmen belegen, galt als kriegsrelevantes Ziel, „denn mit Lahmlegung des Bahnhof wäre die Strecke Leipzig-Dresden blockiert gewesen“.

Der Museumsleiter könnte Stunden erzählen, ob nun davon, dass die Schule zeitweilig als Lazarett diente und in der Güterladestraße nach dem Einmarsch die Entwaffnung stattfand. Dass sich die Uhren mit der russischen Besatzung nach Moskauer Zeit drehten, oder wie sich die Borsdorfer in den Nachkriegsjahren „durchgewurstelt“ haben – „Tausche Pelzmantel gegen einen Sack Kartoffeln“, heißt es in einer Annonce, und in der Vitrine daneben steht ein zu einer Milchkanne umfunktionierter Gasbehälter.

„Für unseren kleinen Verein“ – er zählt rund 50 Mitglieder – „ist eine ordentliche Ausstellung entstanden“, zeigt sich der Museumsleiter stolz auf sein Team.

Die Erkenntnisse auch in einer Broschüre zusammenzufassen, werde gerade „heiß diskutiert“, berichtet er. „Wir sehen uns als Heimatverein in der Pflicht, zur Heimatgeschichte zu sammeln, zu forschen und die Erkenntnisse bekannt zu machen. Aber ein solches Projekt überfordert wahrscheinlich unsere Finanzen.“ Die Schau ist bis zum Jahresende im Museum zu sehen.


2 Gedanken zu „LVZ-Artikel zur Sonderschau“

  1. Mit Freude bin ich der Einladung zum Besuch der Ausstellung „75 Jahre Kriegsende in Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth“ in der Borsdorfer Kirche am 1. September 2020 gefolgt. Die gebotene Präsentation hat mich sehr beeindruckt. Es wurde hier nicht nur der Zeitabschnitt einer bestimmten „Heimatgeschichte“ vorgestellt, sondern „lokale Weltgeschichte“ dokumentiert. Eine Besonderheit der Ausstellung mag darin bestehen, dass sie beispielhaft zeigt, wie die Komplexität der Aufgabenfülle, die es 1945 zu bewältigen galt, nur in einem lokalen Umfeld so zu erfassen, darzustellen und zu verstehen ist. Die Vermittlung von historischen Details und die Darstellung der emotionalen Vielfalt persönlicher Schicksale waren beeindruckend. Insofern gilt den Gestaltern der Ausstellung nicht nur Dank, sondern auch Anerkennung und Respekt. Die komplexe Dokumentation von lokalen Ereignissen von welthistorischer Bedeutung ist eine großartige Leistung – ein großer Wurf ist gelungen!

    Univ.-Prof. Dr. A. Wagner, Leipzig

    Borsdorf, am 1. September 2020

  2. Wir haben am 25.09.2020 in der Ausstellung zum 75. Jahrestag des Kriegsendes in Borsdorf 1945 durch eine persönliche Führung mit ausführlichen Erläuterungen von Lorenz Uhlmann sehr viel über die damaligen Ereignisse in und um Borsdorf erfahren.
    Besonders beeindruckend ist der große Fleiß, das persönliche Engagement und das Herzblut, mit dem die Macher der Ausstellung mit großem Zeitaufwand die Fakten, Ereignisse und persönlichen Erinnerungen der Zeitzeugen zusammengetragen haben, die auf zahlreichen Ausstellungstafeln anschaulich dargestellt werden.
    Vielen Dank an alle Mitwirkenden der Ausstellung.
    Es bleibt die Hoffnung, dass die Menschheit irgendwann begreift, wie sinnlos kriegerische Auseinandersetzungen sind.
    Hans Große, Andreas Große, Marion Pohle

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